Kaktusblüte
Gastbeitrag von Sr. Irmgard Richter - Evangelische Stadtmission Freiburg e.V.
Mehrere Tage war ich zu Gast in einer Tagungsstätte. Auf der Fensterbank
stachelige Pflanzen. Nicht besonders hübsch. Bis eines Morgens diese zartrosa
Blüte aufgegangen war. Am übernächsten Tag war sie schon wieder verwelkt.
Kakteen sind nicht meine Lieblingspflanzen. Aber es gibt Momente, da sind sie
zauberhaft schön. Diese Momente muss man erwischen, sonst kennt man nicht die
ganze Wahrheit über sie. Manche Menschen sind auch wie Kakteen. Sie laden nicht
gerade dazu ein, sie zu streicheln. Man hält gerne ein bisschen Sicherheits-Abstand.
Aber ab und zu zeigen sie noch eine andere Seite von sich selbst.
„Die Kunst, einen Kaktus zu umarmen“ heißt ein Erziehungsratgeber für Eltern von
Teenagern. Und nicht nur Teenager können ganz schön „stachelig“ sein; das können
auch Beamte in Behörden sein, Verkäuferinnen an der Kasse, Schwiegereltern und
Kolleg/-innen, Busfahrer und Bewohnerinnen im Pflegeheim. Ich übe es, mich von den
Stacheln nicht täuschen zu lassen. Irgendwo in diesen Menschen versteckt könnte
es eine zartrosa (oder andersfarbige) Blüte geben, die noch darauf wartet, sich zu
zeigen. Das weckt meine Neugier. Den Moment möchte ich nicht verpassen. Und ich
überlege, ob ich ihn herbeiführen kann. Nicht gleich mit Umarmen, aber vielleicht
mit Lächeln?