Ungewissheit aushalten
Gastbeitrag von Sr. Irmgard Richter - Evangelische Stadtmission Freiburg e.V.
Meine Kollegin will ihren Mann zum runden Geburtstag überraschen. Die Verwandten
können nicht kommen, es kann also keine große Feier geben. Sie hat eine andere Idee:
Ein Kurztrip nach Mailand – Anreise mit dem Zug über Zürich und zwei Übernachtungen in
Mailand. Sie will das Geheimnis nur „scheibchenweise“ lüften. Eine Woche vor der Reise soll
ihr Mann einen Brief bekommen, in dem er erfährt, wann er sich bereithalten und was er
einpacken soll: wieviel Wäsche, welche Schuhe usw. Am Tag vor der Reise soll er einen Brief
bekommen, in dem steht, wann er auf welchem Bahnsteig in welchen Zug einsteigen soll –
dann wird er wissen, dass es nach Zürich geht. Und erst dort wird er erfahren, dass die Reise
noch weiter geht. Ob er die Spannung wohl aushält? Und ob die kleine Tochter sich nicht
verplappern wird?
Was erwartet mich in der Zukunft? Gern wüssten wir immer schon im Voraus, was auf uns
zukommt. Aber meistens überblicken wir nicht mehr als einen nächsten Schritt. Unser
Lebensweg wird auch für uns nur „scheibchenweise“ sichtbar.
Im Dritten Reich versteckte eine junge holländische Christin zusammen mit ihrer Familie
jüdische Menschen. Sie erzählte, dass sie oft Angst hatte, von den Deutschen erwischt und
verhaftet zu werden. Darüber sprach sie mit ihrem Vater. „Werde ich die Kraft haben, das zu
ertragen?“ Ihr Vater fragte zurück: „Corrie, wenn wir auf Reisen gehen, wann gebe ich Dir
Deine Fahrkarte? Ein Jahr vorher? Eine Woche vorher? Einen Tag vorher?“ „Nein“, meinte
Corrie. „Du gibst mir die Fahrkarte, wenn wir auf dem Bahnsteig stehen.“ „So macht Gott es
auch mit uns“, erklärte ihr Vater. „Er schenkt uns die Kraft für das, was auf uns zukommt,
nicht im Voraus, sondern dann, wenn wir sie brauchen.“