Erster Advent – Feindseligkeit oder Freundseligkeit?

Feindseligkeit oder Freundseligkeit?

Gastbeitrag von Klaus Nagorni - Karlsruhe, Evangelische Kirche

Advent. Der Erste, noch junge Morgen im neuen Kirchenjahr. Ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei geht. Für mich ist der erste Sonntag im Advent eine wirkliche Zäsur. Die Schwelle in eine hellere Zeit. Im Grau der Novembertage strahlt etwas auf. Und ich staune an diesem Morgen, wie viel Licht eine einzige Kerze verbreitet.
Das eigentliche Bild aber, das ich mit dem Advent verbinde, ist die Tür. Seit meiner Kindheit stelle ich mir den Eingang zur Adventszeit vor wie eine große Tür. Davor stehe ich nun, gespannt und voller Erwartung. Und höre das Lied, in dem der ganze Advent enthalten ist: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit."
Ja, es klingt wie eine ferne Melodie aus der Kindheit. Und erinnert mich doch - ganz aktuell - an die Türen, die ich in diesem Jahr durchschritten habe. Es waren nicht wenige. Türen, die in Büros führten oder in Wartezimmer. Türen vor noblen Sälen oder niedrigen Kellerräumen. Türen, hinter denen es hell war oder dunkel. Türen, hinter denen ich erwartet wurde und solche, die mir verschlossen blieben.

Jetzt stehe ich vor der Adventstür. Und etwas Anderes beginnt. Zuerst leise, doch dann immer deutlicher vernehme ich die Melodie jenes alten Liedes, dessen Klang alles um mich verwandelt. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit".
Ich sehe, wie sich schwere Flügeltüren öffnen und den Blick freigeben auf einen prachtvollen Saal dahinter. Lichter sind angezündet. Sie brennen leise an Wänden und auf gedeckten Tischen. Sie verbreiten Glanz und Wärme. Offenbar wird jemand erwartet.
Der Saal hinter der großen Tür ist anders als alle Wartesäle der Welt. Alle Hektik und Ungeduld ist draußen geblieben. Er ist gefüllt mit Erwartung, mit Zuwendung und Freundlichkeit, die schon jetzt den Blick hebt und Menschen aufrichtet.

Ich muss an den Satz denken, den Peter Handke auf die Frage, worin das Christliche bestehe, geschrieben hat. „Das Christliche?", fragte er, „das ist die freundliche Aufmerksamkeit".
Die freundliche Aufmerksamkeit. Ein schöner, adventlicher Satz, wie ich finde. Denn diese Freundlichkeit findet sich ja auch in einem Vers des zitierten Adventschorals. „Ach zieh mit deiner Gnade ein, dein Freundlichkeit auch uns erschein", heißt es da.
Es ist eine tiefe Sehnsucht von uns allen, dass der Mensch dem anderen nicht in Misstrauen und Abgrenzung, sondern in Zuwendung und in Freundlichkeit begegne. Eine Sehnsucht, die im laufenden Jahr oft genug enttäuscht wurde.

Advent aber ist die Zeit, wo wir uns darauf vorbereiten, dass die Menschenfreundlichkeit Gottes auch bei uns einzieht. Das ist es wert, dass ich die Waffen ablege und die Rüstung öffne, mit denen ich mich oft im Alltag glaube verteidigen zu müssen. Und Einlass erbitte zu dem Saal, hinter dessen großer Eingangstür die Menschfreundlichkeit Gottes wartet.
Wie wird es sein, frage ich mich, wenn Gottes Freundlichkeit auch uns erscheint? Wenn aus Feindseligkeit die Seligkeit wird, einander in Freundlichkeit zu begegnen? So etwas wie  „Freundseligkeit" vielleicht.

Hinter der Adventstür, da bin ich sicher, folgt das Leben einer anderen Logik. Der Eilige kommt zur Ruhe. Der Gehetzte findet Anerkennung. Der Feind begegnet seinem Nächsten. Und ich selbst kann helfen, die Adventstür ein Stückchen weiter aufzuschieben.
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!" Gottes Freundlichkeit erwartet mich. Ich lege mit Hand an, um die Adventstür einen Spalt weiter zu öffnen. So dass der Glanz, der aus der geöffneten Tür fällt, schon jetzt mein Leben ein wenig heller macht.