Spiritueller Impuls: Aufstehen morgens

Aufstehen morgens 

Gastbeitrag von Sr. Irmgard Richter - Evangelische Stadtmission Freiburg e.V.

Schlafen gehört nicht zu meinen Stärken. Dafür fällt es mir meistens nicht so schwer,
morgens aus dem Bett zu kommen. Klar - , wenn ich in der Nacht nicht viel geschlafen
habe, wünsche ich mir morgens auch, ich könnte noch ein bisschen liegen bleiben.

Eine Bekannte sagte kürzlich zu mir: „Ich danke jeden Morgen dafür, dass ich
aufstehen kann.“ Sie hat Multiple Sklerose. Nur wenige wissen davon oder merken
etwas, denn es geht ihr relativ gut. Aber selbstverständlich ist das nicht.

Und das ist es ja eigentlich für niemanden. Dass ich an einem neuen Morgen noch lebe
und gesund genug bin, um aufstehen zu können, darauf habe ich keinen Anspruch.
Das Leben ist eine Leihgabe. Ich muss dafür nicht einmal eine Leihgebühr bezahlen.
Nicht immer gefallen mir die Umstände und Bedingungen, aber im Ganzen gesehen ist
es ein unglaubliches Geschenk. Ich muss mein Leben nicht immer toll finden. Weder
die kleinen Ärgerlichkeiten noch die großen Sorgen und Unglücke muss ich schönreden
oder vergolden. Aber verglichen mit dem Nicht-Sein finde ich das Leben großartig.

Eine andere Bekannte hat mir jetzt noch einmal dafür die Augen geöffnet. Sie erzählte
von ihrem Bruder, der mit 22 Jahren an Leukämie starb. Drei Wochen nach der
Diagnose schickten ihn die Ärzte nach Hause, weil keine Behandlung gegen den Krebs
wirkte. „Leben Sie jeden Tag, als wäre es Ihr letzter. Sie haben nicht mehr viele.“

Ich möchte üben, dieses Geschenk mehr zu schätzen und die Dinge, die mir in meinem
Leben nicht so gefallen, anzunehmen, zum Beispiel das Aufstehen am Morgen und
auch die schlechten Nächte.