Höhenangst

Gastbeitrag von Sr. Irmgard Richter - Evangelische Stadtmission Freiburg e.V.

Nach langer Zeit fahre ich mal wieder mit der Schauinslandbahn.
Mit mir in der Gondel sitzt eine junge Familie – Vater, Mutter,
kleine Tochter (geschätzt 4 Jahre) und der Opa. Der junge
Familienvater, sonst wahrscheinlich sehr souverän, hat
Höhenangst. Er spricht das offen aus und konzentriert sich
darauf, nicht nach unten zu schauen.
Ich überlege kurz, ob ich auch Angst habe.
Ich bin mir sicher: statistisch gesehen, sterben viel mehr
Menschen durch Autounfälle als durch Abstürze von
Bergbahnen. Dennoch – ein bisschen Angst ist da. Tatsächlich
weiß ich nicht, ob das Seil hält, ob die Technik funktioniert.
Ich kann es nicht wissen. Der todbringende Gondelabsturz im
Tessin vor wenigen Monaten fällt mir wieder ein.
Ist Sicherheit nicht bloß eine Illusion? In Wirklichkeit hängt doch
unser Leben immer nur an einem seidenen Faden. Kürzlich wurde
die Freundin einer Freundin von einem Auto überfahren. Eine
Bekannte ist nur knapp dem Tod entronnen, als ein Blutgefäß
beim Herzen gerissen ist. Alles das fällt mir ein mit dem
ängstlichen jungen Mann in der Gondel neben mir. Ich lebe
meinen Alltag, ich mache Pläne für morgen und für Weihnachten
und tue so, als wäre es gar keine Frage, ob ich Weihnachten noch
erleben werde. Aber weiß ich das? Zum Glück ist mir die
Zerbrechlichkeit des Lebens nicht immer so bewusst. Das könnte
ich ja gar nicht aushalten. Aber ab und zu kann es nützlich sein,
mein Leben nicht für allzu selbstverständlich zu halten. Es könnte
mich dankbarer machen, zum Beispiel. Ein altes Gebet geht so:
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug
werden.“ (Psalm 90,12)